Die (hoffentlich noch) geplante Neufassung von § 31 Abs. 3 BauGB

1. Einleitung

Mit der Ankündigung von Bundeskanzler Olaf Scholz, den FDP-Vorsitzenden Christian Lindner als Finanzminister entlassen zu wollen, endete am 06.11.2024 faktisch die Ampelkoalition im Bund. Damit sind sämtliche Gesetzesvorhaben, die nach der bisherigen Planung in dieser Legislaturperiode noch auf den Weg gebracht werden sollten, infrage gestellt.

Dies gilt auch für die am 04.09.2024 vom Bundeskabinett beschlossene Novelle des Baugesetzbuches, die angesichts des dramatischen Mangels an Wohnraum in Deutschland und der generell extrem schwachen Neubautätigkeit insbesondere die deutliche Erweiterung der Möglichkeiten zur Zulassung von Abweichungen von bauplanungsrechtlichen Normen vorsieht1.

Allerdings deutete sich im Rahmen der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Wohnen, Stadtentwicklung, Bauwesen und Kommunen am 11.11.2024 an, dass die Novelle – ggf. mit gewissen Anpassungen – doch noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden könnte. Insbesondere aus den Reihen der CDU/CSU wurde bestätigt, dass man das Gesetz grundsätzlich unterstütze und mit auf den Weg bringen wolle.

Gleichzeitig wurde im Verlauf der Ausschussanhörung aber ebenfalls deutlich, dass teils erhebliche Vorbehalte gegen den, landläufig als „Bau-Turbo“ bezeichneten, geplanten § 246e BauGB bestehen. Der Kollege Hien hat in seinem Knauthe Aktuell vom 16.09.2024 bereits ausführlich erläutert, warum der geplante § 246e BauGB eine „kleine Revolution des Bauplanungsrechts“ darstellen würde und warum diese aus unserer Sicht zu begrüßen wäre.

Selbst wenn der § 246e BauGB jedoch keine Mehrheit finden sollte, so enthält die geplante BauGB-Novelle viele wichtige andere Erleichterungen für den Wohnungsbau, die unbedingt noch in diesem Jahr umgesetzt werden sollten.

Hervorzuheben ist insofern insbesondere die geplante Neufassung von § 31 Abs. 3 BauGB, mit der für den Wohnungsbau die Erteilung „klassischer“ Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans erheblich erleichtert werden soll.

Nachfolgend wird zunächst erläutert, wie es zur Einführung des § 31 Abs. 3 BauGB kam (unter 2.). Es wird dargelegt, warum die derzeitige Fassung des Paragraphen aufgrund einer sehr restriktiven Auslegung durch das Bundesverwaltungsgericht in der Praxis leider keine relevante Wirkung mehr entfalten kann (unter 3.). Anschließend wird die geplante Neufassung des § 31 Abs. 3 BauGB vorgestellt (unter 4.). Abschließend werden die gefundenen Ergebnisse zusammengefasst (unter 5.).

2. Hintergrund für die Einfügung von § 31 Abs. 3 BauGB

§ 31 Abs. 3 BauGB wurde 2021 mit dem Baulandmobilisierungsgesetz eingefügt, weil sich gezeigt hatte, dass die Befreiungsmöglichkeiten des § 31 Abs. 2 BauGB nicht ausreichen, um schnell zusätzlichen Wohnraum zu ermöglichen. In vielen Fällen scheitert die Schaffung von Wohnraum daran, dass eine notwendige Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans nach § 31 Abs. 2 BauGB nicht erteilt werden kann, weil damit eine „Berührung der Grundzüge der Planung“ einherginge.

Das in § 31 Abs. 2 BauGB enthaltene Tatbestandsmerkmal der Nichtberührung der Grundzüge der Planung ist in hohem Maße unbestimmt und einzelfallabhängig und die Schwelle für die Annahme einer Berührung der Grundzüge der Planung wird tendenziell niedrig angesetzt. So ist von einer Berührung der Grundzüge der Planung  auszugehen, wenn durch die Abweichung die den Festsetzungen des Bebauungsplans zugrunde liegende und in ihnen zum Ausdruck kommende planerische Konzeption nicht eingehalten würde2. Wann dies der Fall ist, kann naturgemäß nicht allgemeingültig beantwortet werden, sondern es ist stets die konkrete Einzelfallsituation, insbesondere die der Planung zugrunde liegende Vorstellung der Gemeinde zu betrachten3. Es genügt aber anerkanntermaßen, dass der Plangeber mit seinen Festsetzungen auf die konkreten örtlichen Gegebenheiten oder sonstigen Rahmenbedingungen gezielt reagiert oder ganz bestimmte Planungsziele verfolgt hat, um von einem Grundzug der Planung auszugehen4. Dabei kann es sich auch durchaus um auf den ersten Blick als klein oder unwichtig wahrgenommene Festsetzungen handeln, die der Plangeber aber gezielt getroffen hat.

Als Hemmnis für den Wohnungsbau erweisen sich vor allem die Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung, die vom Plangeber einst bewusst getroffen wurden, mittlerweile aber „aus der Zeit gefallen“ sind. Solche zu geringen Maßfestsetzungen verhindern z.B. regelmäßig die Aufstockung von Gebäuden und die höhere Ausnutzung von bereits ausgewiesenen Baugebieten. Die Ermöglichung zusätzlicher Geschosse und/oder Baukörper ist oft nur über eine (langwierige und kostenintensive) Änderung des Bebauungsplanes möglich.

3. Aktuelle Fassung von § 31 Abs. 3 BauGB

Nach § 31 Abs. 3 BauGB in seiner aktuellen Fassung ist die Erteilung einer Befreiung auch dann möglich, wenn die Grundzüge der Planung durch die Zulassung der Abweichung berührt werden. In einem Gebiet mit einem angespannten Wohnungsmarkt kann danach,

„mit Zustimmung der Gemeinde im Einzelfall von den Festsetzungen des Bebauungsplans zugunsten des Wohnungsbaus befreit werden, wenn die Befreiung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. […]“.

Allerdings hat der Gesetzgeber, offenbar, weil man sonst eine zu starke Aushebelung der Bauleitplanung befürchtete, anders als von der Baulandkommission empfohlen, die Befreiungsmöglichkeit nach § 31 Abs. 3 BauGB auf Einzelfälle beschränkt. Dieses „Einzelfallerfordernis“ war früher auch in § 31 Abs. 2 BauGB enthalten und zum 01.01.1998 gestrichen worden, weil es ein erhebliches Hindernis für die Erteilung von Befreiungen darstellte. Die damalige Rechtsprechung hatte das Einzelfallkriterium nämlich so ausgelegt, dass als Voraussetzung für eine Befreiung ein „atypischer Sonderfall“ vorliegen müsse. Ein solcher sei zu verneinen, wenn es an einer grundstücksbezogenen Besonderheit fehle, wenn also etwa die Gründe, die für eine Befreiung streiten, für jedes oder nahezu für jedes Grundstück im Planbereich gegeben wären bzw. wenn sich eine vergleichbare Befreiungslage innerhalb des Plangebiets in einer erheblichen Zahl gleichgelagerter Fälle einstellen könnte5.

Seit der Einführung von § 31 Abs. 3 BauGB herrschte Uneinigkeit darüber, ob das Einzelfallerfordernis in § 31 Abs. 3 BauGB genauso streng im Sinne einer „Atypik“ zu verstehen sei, wie in § 31 Abs. 2 BauGB a.F. In seinem Urteil vom 24.04.2024 hat das Bundesverwaltungsgericht diese Frage nun eindeutig bejaht.

Mit dem Urteil steht fest, dass § 31 Abs. 3 BauGB in seiner jetzigen Fassung nur ein sehr kleiner Anwendungsbereich zukommt.

Die Vorschrift ist damit nicht geeignet, wie ursprünglich intendiert, in nennenswertem Umfang zur schnellen Schaffung von Wohnraum beizutragen. So berichtete z.B. Frau Dr. Mechel, als Vertreterin der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen (BSW) Hamburg, in der Ausschussanhörung vom 11.11.2024, man habe seit Einführung von § 31 Abs. 3 BauGB auf dessen Basis alleine in Hamburg bis zum April 2024 ca. 1.800 Wohneinheiten genehmigen können. Seit der sehr restriktiven Auslegung durch das Bundesverwaltungsgericht, sei die Norm in der Praxis jedoch nicht mehr anwendbar.

4. Entwurf Neufassung 31 Abs. 3 BauGB

In dem am 04.09.2024 vom Bundeskabinett beschlossenen „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der integrierten Stadtentwicklung“ ist als Reaktion auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 24.04.2024 vorgesehen, § 31 Abs. 3 wie folgt neu zu fassen:

„Mit Zustimmung der Gemeinde kann im Einzelfall von den Festsetzungen des Bebauungsplans zugunsten des Wohnungsbaus befreit werden, wenn die Befreiung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Von dem Einzelfallerfordernis nach Satz 1 kann abgesehen werden, wenn entsprechende Befreiungen voraussichtlich auch in vergleichbaren Fällen erteilt werden sollen und wenn die Befreiung

1. der Erweiterung, Änderung oder Erneuerung eines zulässigerweise errichteten Gebäudes, insbesondere seiner Aufstockung, dient oder

2. der Errichtung eines Gebäudes dient, das nach Art der baulichen Nutzung nachdem Bebauungsplan zulässig wäre.

Die Gemeinde hat den Inhalt der jeweils ersten nach Satz 2 erteilten Befreiung ergänzend zum Bebauungsplan entsprechend § 10a Absatz 1 Satz 1 zu veröffentlichen und entsprechend § 10a Absatz 2 Satz 1 zugänglich zu machen. Für die Zustimmung der Gemeinde nach Satz 1 gilt § 36 Absatz 2 Satz 2 entsprechend“.

Mit der Änderung wird das Einzelfallerfordernis nicht komplett gestrichen. Es soll aber entfallen für Wohnungsbauvorhaben, die die Erweiterung, Änderung oder Erneuerung – nicht aber die Nutzungsänderung6  – legaler Bestandsgebäude betreffen oder sofern die Art der Nutzung nach dem Bebauungsplan zulässig wäre. Weitere Voraussetzung ist – sozusagen als umgekehrtes Einzelfallerfordernis –, dass entsprechende Befreiungen voraussichtlich auch in vergleichbaren Fällen erteilt werden sollen.

Die Änderung soll es u.a. ermöglichen, zur Schaffung neuen Wohnraums in großflächigerem Rahmen, bis hin zu ganzen Straßenzügen, den vorhandenen (Wohn‑) Gebäudebestand aufzustocken oder eine Hinterlandbebauung zuzulassen7.

Eine – noch im Referentenentwurf vom 29.07.2024 vorgesehene8 – Beschränkung der Befreiungsmöglichkeit auf Gebiete, die von der jeweiligen Landesregierung als Gebiet mit einem angespannten Wohnungsmarkt bestimmt wurden, ist im aktuellen Kabinettentwurf nicht mehr vorgesehen. Damit findet zum einen eine räumliche Ausdehnung des Anwendungsbereichs auf das gesamte Bundesgebiet statt. Zum anderen wird die Norm auch entfristet.

Die Neufassung des § 31 Abs.3 BauGB zielt vor allem darauf ab, flächendeckend diejenigen Beschränkungen für den Wohnungsbau aus dem Weg zu räumen, die sich aus zu geringen Maßfestsetzungen im jeweiligen Bebauungsplan ergeben. Abweichungen von der zulässigen Art der baulichen Nutzung sollen dagegen wegen stärkeren Eingriffs in die planerischen Entscheidungen der Gemeinden nicht erfasst sein9.

Dabei besteht seitens der Verfasser des Entwurfs das Bewusstsein dafür, dass durch die vielfache Abweichung von den Festsetzungen des Bebauungsplans deren Geltungsanspruch relativiert wird. Daher soll die Gemeinde den Inhalt der jeweils ersten abweichend vom Einzelfallerfordernis erteilten Befreiung ergänzend zum Bebauungsplan veröffentlichen und zur Einsicht bereithalten10.

Außerdem wird von einer besonderen Prüfungsverantwortung der Genehmigungsbehörden in Bezug auf die Vereinbarkeit der Abweichung mit öffentlichen Belangen ausgegangen, die sich daraus ergibt, dass auch Abweichungen erteilt werden können, die andernfalls Bebauungsplanverfahren erforderlich gemacht hätten. Durch die Erteilung von Befreiungen nach § 31 Abs. 3 BauGB soll insbesondere nicht eine im Falle der Durchführung eines Bebauungsplanverfahrens erforderliche Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung umgangen werden. In diesen Fällen soll vielmehr weiterhin ein Bebauungsplanverfahren erforderlich sein. So z.B., wenn der Schwellenwert von 20.000 m² nach § 13a Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 BauGB erreicht würde11.

5.   Fazit

Die derzeitigen Befreiungsmöglichkeiten nach § 31 BauGB haben sich als ungeeignet erwiesen, vor allem in Ballungsräumen im erforderlichen Umfang zur Schaffung von dringend benötigtem Wohnraum beizutragen. Die Erteilung einer Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB scheitert oftmals daran, dass die Grundzüge der Planung von der Abweichung berührt wären. Die Befreiung nach § 31 Abs. 3 BauGB ist durch die restriktive Auslegung des Bundesverwaltungsgerichts durch das Einzelfallerfordernis auf atypische Sonderfälle beschränkt und damit in der Praxis kaum anwendbar.

Mit der geplanten Neufassung von § 31 Abs. 3 BauGB wird die Vorschrift erstmals so ausgestaltet, dass sie nicht weitgehend leerläuft. Für Bauvorhaben, die legale Bestandsgebäude betreffen sowie für Fälle, in denen das Vorhaben der nach dem Bebauungsplan zulässigen Art der baulichen Nutzung entspricht, wird unter Verzicht auf das Einzelfallerfordernis die Zulassung von Abweichungen ermöglicht, auch wenn damit die Grundzüge der Planung berührt werden. Damit wird es speziell ermöglicht, für Wohnungsbauvorhaben von den Festsetzungen zum zulässigen Maß der baulichen Nutzung nach oben abzuweichen. Auch wenn die – aus unserer Sicht wünschenswerte – Einführung von § 246e BauGB an den weiterhin bestehenden Widerständen scheitern sollte, so sollte jedenfalls die Neufassung von § 31 abs. 3 BauGB beschlossen werden, um die dringend erforderliche Nachverdichtung durch Erweiterung und Aufstockung von Wohngebäuden zu ermöglichen.

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1 Referentenentwurf des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen – Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der integrierten Stadtentwicklung, Bearbeitungsstand 03.09.2024, Seite 48

2  Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger/Söfker m.w.N.

3 Brügelmann/Dürr, 130. EL April 2024, BauGB § 31 Rn. 46

4 Battis/Krautzberger/Löhr/Reidt, 15. Aufl. 2022, BauGB § 31 Rn. 29

5 Vgl. Urteil Bundesverwaltungsgericht vom 24.04.2024 – 4 C 2/23 unter Verweis auf BVerwG, Urteil vom 14. Februar 1991 – 4 C 51.87 – BVerwGE 88, 24 <32 f.>und OVG Hamburg, Beschluss vom 16. Au-gust 2021 – 2 Bs 182/21 – NVwZ 2021, 1472 Rn. 29

6 Referentenentwurf des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen – Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der integrierten Stadtentwicklung, Bearbeitungsstand 03.09.2024, Seite 98

7 Referentenentwurf des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen – Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der integrierten Stadtentwicklung, Bearbeitungsstand 03.09.2024, Seite 97

8 Referentenentwurf des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen – Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der integrierten Stadtentwicklung, Bearbeitungsstand 29.07.2024, Seite 21

9 Referentenentwurf des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen – Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der integrierten Stadtentwicklung, Bearbeitungsstand 03.09.2024, Seite 98

10 Referentenentwurf des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen – Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der integrierten Stadtentwicklung, Bearbeitungsstand 03.09.2024, Seite 98

11 Referentenentwurf des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen – Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der integrierten Stadtentwicklung, Bearbeitungsstand 03.09.2024, Seite 98

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