§ 94a ZVG – Ein Fremdkörper im Zwangsversteigerungsrecht

Zum 01.01.2025 wurde mit dem „Gesetz zur Bekämpfung missbräuchlicher Ersteigerungen von Schrottimmobilien“ die Vorschrift des § 94a ZVG eingeführt.

Als Schrottimmobilien bezeichnet der Gesetzgeber Immobilien, die keinen wirtschaftlichen Wert besitzen. Eine missbräuchliche Ersteigerung liegt vor, wenn der Ersteher kein Interesse am nachhaltigen Erwerb solcher Immobilien hat, sondern lediglich den frühen, ungesicherten Nutzen-Lastenwechsel im Versteigerungsverfahren ausnutzt. Dabei schlägt ein unredlicher Ersteher ohne Begleichung seines fälligen Gebotes Profite aus der Immobilie bis sie ihm im Wege der Wiederversteigerung wieder entzogen wird.

Dem Gesetzestitel entsprechend sollen mit der Einführung des § 94a ZVG missbräuchliche Ersteigerungen von Schrottimmobilien bekämpft werden. Die Vorschrift gibt Gemeinden das Recht, eine gerichtliche Verwaltung von ersteigerten Schrottimmobilien auf Kosten des Erstehers zu erzwingen, bis dieser sein Gebot geleistet hat. Dieses Antragsrecht steht den Gemeinden unabhängig von einer eigenen Gläubigerstellung bei allen Zwangsversteigerungen zu, die nach dem 01.01.2025 angeordnet wurden.

Der politische Wille, welcher der Vorschrift des § 94a ZVG zugrunde liegt, erscheint zunächst nachvollziehbar. Die Vorschrift verfolgt jedoch primär ein städtebauliches bzw. ordnungsrechtliches Ziel. Die Verortung im ZVG ist daher systemwidrig. Je nach Anwendungsart bzw. -häufigkeit, kann § 94a ZVG zudem in der Praxis negative Auswirkungen haben. Die Einführung der neuen Regelung war zudem nicht erforderlich, weil die bereits zuvor bestehenden rechtlichen „Werkzeuge“ ausreichend waren. Insgesamt sprechen gute Argumente dafür, § 94a ZVG wieder aufzuheben.

Nachfolgend wird zunächst das rechtliche Problem erläutert, welchem mit § 94a ZVG begegnet werden soll (unter 1.). Anschließend wird der Regelungsgehalt des § 94a ZVG dargestellt (unter 2.). Es wird aufgezeigt, dass die Vorschrift einen Systembruch im ZVG bewirkt (unter 3.) und verfassungsrechtliche Bedenken aufwirft (unter 4.). Abschließend wird herausgearbeitet, welche negativen Folgen in der Praxis auftreten können (unter 5.) und dass keine Notwendigkeit für die Einführung der Vorschrift bestand (unter 6.).

1. Problemstellung

Anders als bei gewöhnlichen Erwerbsvorgängen erfolgt der Nutzen-Lastenwechsel eines versteigerten Grundstücks nicht in Abhängigkeit der Gegenleistung. Dieser ungesicherte Nutzen-Lasten-Wechsel im Zwangsversteigerungsrecht ist der Ausgangspunkt einer „missbräuchlichen“ Ersteigerung.

Bei freihändigen Erwerbsvorgängen außerhalb von Zwangsversteigerungen vereinbaren die Vertragsparteien üblicherweise, dass der Nutzen-Lastenwechsel in Abhängigkeit von der Kaufpreiszahlung erfolgt, um eine adäquate Risikoverteilung für beide Parteien sicherzustellen.

Im Zwangsversteigerungsrecht hingegen erfolgt der Eigentumserwerb einschließlich des Nutzen-Lastenwechsels bereits mit Wirksamwerden des Zuschlagsbeschlusses, § 90, § 56 S. 2 ZVG. Die Pflicht des Erstehers zur Zahlung des Gebotes wird jedoch erst sechs bis acht Wochen später im Verteilungstermin fällig, § 49 Abs. 1 ZVG.

Der Ersteher kann daher bereits Einnahmen aus der Immobilie ziehen, bevor er verpflichtet ist, das Gebot zu zahlen, aus dem die Gläubiger zu befriedigen sind.

Somit erfolgt der Nutzen-Lastenwechsel bei Zwangsversteigerungen (weitgehend) ungesichert. Die in der Praxis übliche Sicherheitsleistung in Höhe von 10 % des Verkehrswertes stellt keine hinreichende wirtschaftliche Absicherung der Gläubiger dar.

Zahlt der Ersteher das zum Verteilungstermin fällige Gebot nicht, kann er die Nutzungsmöglichkeit der Immobilie um weitere Wochen oder sogar Monate bis zu einer Wiederversteigerung ausreizen und den ungesicherten Nutzen-Lasten-Wechsel auf diese Weise missbrauchen. Mit einer minimalen Investition in Höhe der Sicherheitsleistung kann er somit unter Umständen hohe Profite erzielen.

2. Regelungsinhalt des § 94a ZVG

Die neu eingeführte Vorschrift des § 94a ZVG gewährt ein Antragsrecht auf Anordnung einer gerichtlichen Verwaltung. Antragsberechtigt ist die Gemeinde, in welcher das zu versteigernde Grundstück liegt. Durch die gerichtliche Verwaltung wird dem Ersteher die Nutzungsmöglichkeit insbesondere die Einnahmen seiner Immobilie bis zur Zahlung des Gebotes entzogen. Dabei ist unerheblich, ob die Gemeinde als Gläubigerin am Versteigerungsverfahren beteiligt ist.

Obwohl das oben aufgezeigte Missbrauchspotential des ungesicherten Nutzen-Lastenwechsels bei jeder Zwangsversteigerung von Immobilien besteht, beschränkt sich § 94a ZVG auf die Versteigerung von solchen Immobilien, die aus Sicht der antragstellenden Gemeinde Merkmale einer „Schrottimmobilie“ aufweisen. Vier alternative Merkmale sind in § 94a Abs. 2 S. 2 ZVG definiert:

Die Gemeinde hat mit dem Antrag zu bestätigen, dass die zu verwaltende Immobilie

1.   eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung darstellt,

2.  bauliche Missstände oder Mängel aufweist,

3.   den geltenden Vorschriften zu Umgang, Nutzung und Bewirtschaftung nicht entspricht oder

4.  nicht angemessen genutzt wird.

Die gesetzliche Beschränkung auf sog. Schrottimmobilien macht deutlich, dass mit der Vorschrift vorrangig städtebauliche Ziele verfolgt werden und nicht das allgemeine Missbrauchspotential des frühen Nutzen-Lastenwechsels generell eingedämmt werden soll.

3. § 94a ZVG als Systembruch im ZVG

In vielen deutschen Städten stehen verwahrloste Immobilien, die aufgrund ihres baulichen Zustandes nicht mehr wirtschaftlich nutzbar sind. Insofern ist die Zielrichtung des § 94a ZVG, solchen städtebaulichen Missständen entgegenzuwirken, grundsätzlich nachvollziehbar.

Dabei handelt es sich um ein Regelungsziel, das dem Bauordnungsrecht oder dem Wohnungsaufsichtsrecht zuzuordnen ist.

Die neue Vorschrift wurde jedoch im ZVG verortet. Das ZVG regelt das Verfahren für die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung. Es ist primär als ein Instrument zur Durchsetzung von Gläubigerinteressen konzipiert. Öffentlich-rechtliche Ziele des Städtebaus und Ordnungsrechts sind dem ZVG fremd.

Darüber hinaus widerspricht der neu eingeführte § 94a ZVG dem im Vollstreckungsrecht geltenden Beteiligtengrundsatz nach § 9 ZVG, da er einer am Verfahren unbeteiligten Gemeinde ein Antragsrecht gewährt.

Insgesamt stellt die Vorschrift daher einen systematischen Bruch im ZVG dar.

4. Verfassungsrechtliche Bedenken

Die Vorschrift des § 94a ZVG begegnet verfassungsrechtlichen Bedenken hinsichtlich der Eigentums- und der Rechtsschutzgarantie.

4.1 Eigentumsgarantie

Liegt ein Antrag der zuständigen Gemeinde samt Bestätigung vor und ist das Gebot noch nicht beglichen, ist das Vollstreckungsgericht gemäß § 94a Abs. 1 ZVG verpflichtet, die gerichtliche Verwaltung auf Kosten des Erstehers anzuordnen. Die Anordnung darf erst ab Erteilung des Zuschlags erfolgen. Die gerichtliche Verwaltung verwehrt es dem Ersteher, mit dem Grundstück samt (Schrott‑)Immobilie nach seinem Belieben zu verfahren, insbesondere Einnahmen zu generieren und für sich zu verwenden. Dies stellt einen Eingriff in seine durch Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG geschützte Eigentümerposition dar.

In Bezug auf den für § 94a ZVG konzipierten Anwendungsbereich einer missbräuchlichen Ersteigerung mag dieser Eingriff mangels schützenswertem Interesses an einem missbräuchlichen Ersteigerungsmodell sowie vor dem Hintergrund der Sozialbindung des Eigentums zwar verhältnismäßig sein.

Es droht jedoch eine Ausweitung des Anwendungsbereichs auf redliche Ersteher unter Verletzung der Eigentumsgarantie. Die Vorschrift des § 94a ZVG knüpft die gerichtliche Verwaltung lediglich an die Merkmale der Schrottimmobilie und die Nichterbringung des Bargebotes. Die Anordnung der gerichtlichen Verwaltung darf bereits ab Erteilung des Zuschlags erfolgen – zu einem Zeitpunkt, zu dem die Nichtzahlung des Gebotes mangels Fälligkeit gerade nicht zwischen unredlichen und redlichen Erstehern differenzieren lässt.

Aus diesem Grund werden auch redliche Ersteher von der gerichtlichen Verwaltung und ihrer Kostenlast betroffen sein, ohne dass dies dem Zweck des § 94a ZVG, der Bekämpfung missbräuchlicher Ersteigerungen, dient.

Von einer missbräuchlichen Ersteigerung kann erst bei einer Nichtzahlung des fälligen Gebotes gesprochen werden, sprich ab dem Zeitpunkt des Verteilungstermins.

4.2 Rechtsschutzgarantie

Mit dem Antrag auf gerichtliche Verwaltung hat die Gemeinde zu bestätigen, dass die zu verwaltende Immobilie Merkmale einer Schrottimmobilie aufweist, § 94a Abs. 2 S. 2 ZVG. Dem Vollstreckungsgericht steht insoweit von Amts wegen keine inhaltliche Prüfungskompetenz zu. Nach dem Wortlaut der Norm gehört das tatsächliche Vorliegen der durch die Gemeinde angenommenen Merkmale einer Schrottimmobilie nicht zum überprüfbaren Tatbestand des Gerichts, sondern lediglich das Vorliegen der diesbezüglichen Bestätigung der Gemeinde.

Ob und wie der Ersteher eine gerichtliche Überprüfung des inhaltlichen Vorliegens der angenommenen Merkmale erzwingen kann, bleibt offen – bereits die Rechtsnatur der gemeindlichen Bestätigung ist unklar.

Gegen den Anordnungsbeschluss des Vollstreckungsgerichts steht dem Ersteher zwar der Rechtsbehelf der sofortigen Beschwerde gemäß § 793 ZPO bzw. der Vollstreckungserinnerung gemäß § 766 ZPO zu. Der Ersteher wird gegen den gerichtlichen Beschluss jedoch nicht geltend machen können, dass die von der Gemeinde angenommenen Merkmale einer Schrottimmobilie nicht gegeben seien. Denn das Vollstreckungsgericht hat die Bestätigung der Gemeinde nicht inhaltlich überprüft, sodass sie auch nicht Teil des Anordnungsbeschlusses geworden ist

5. Mögliche Folgen in der Praxis

Problematisch ist, dass die Gemeinde gemäß § 94a ZVG bereits ab Anordnung der Zwangsversteigerung einen Antrag auf gerichtliche Verwaltung stellen kann. Also zu einem Zeitpunkt, zu dem weder der Ersteher, noch das Gebot feststeht – geschweige denn, das Gebot fällig ist. Eine missbräuchliche Ersteigerung durch einen unredlichen Ersteher kann jedoch erst nach Fälligkeit des Gebotes im Verteilungstermin als solche identifiziert werden.

Würde die Gemeinde zum Schutz redlicher Ersteher mit ihrem Antrag bis zum Verteilungstermin warten, könnten unredliche Ersteher weiterhin jedenfalls für einen Zeitraum von sechs bis acht Wochen (zwischen Zuschlagserteilung und Verteilungstermin) vom ungesicherten Nutzen-Lastenwechsel profitieren. Daher ist in der Praxis eine frühzeitige Antragstellung zu erwarten, um unredliche Mitbieter durch die in Aussicht gestellte gerichtliche Verwaltung abzuschrecken.

Angesichts der Kostenlast könnten jedoch durch eine in Aussicht gestellte gerichtliche Verwaltung auch redliche Mitbieter davon absehen, bei Versteigerungen von Schrottimmobilien mitzubieten. Im ungünstigsten Fall werden sogar die Gläubiger bereits von einem Vollstreckungsantrag absehen, da sich die Versteigerung nicht als erfolgreich erweisen wird.

In der Folge könnten Zwangsversteigerungen von Schrottimmobilien zukünftig insgesamt scheitern. Anstatt – wie vorgesehen – einen Beitrag zur Beseitigung städtebaulicher Missstände durch Schrottimmobilien zu leisten, wird § 94a ZVG vielmehr deren Verfestigung bewirken. Investitionen bleiben aus und Schrottimmobilien verharren im status quo.

Ob und wie die Gemeinden mit ihrem Antragsrecht in der Praxis umgehen werden, wird die Zukunft zeigen. Sollte sich das Antragsrecht tatsächlich zu einer Vorratsmaßnahme entwickeln, ist der Gesetzgeber gut beraten, § 94a ZVG wieder aufzuheben – zumal die Vorschrift ohnehin nicht erforderlich gewesen ist.

6. Fehlende Erforderlichkeit des § 94a ZVG

Von den bundesweit ca. 21.400 Versteigerungen im Jahr 2022 ist nach Schätzung des Gesetzgebers in lediglich 0,12 % – 0,15 % von einer missbräuchlichen Ersteigerung einer Schrottimmobilie auszugehen.

Trotz dieser marginalen Fallzahlen ergriff das Bundesministerium der Justiz unter der damaligen Leitung von Marco Buschmann die Gesetzesinitiative zur Einführung des § 94a ZVG.

Hintergrund dessen wird gewesen sein, dass das Stadtbild der Heimat und des Wahlkreises des Bundesjustizministers a.D., Gelsenkirchen, von prominenten Beispielen für Schrottimmobilien geprägt ist. Dies nutzte der Bundesjustizminister a.D. offenbar, um gezielt in seinem Wahlkreis tätig zu werden und sich so politische Unterstützung und Wählerstimmen zu sichern.

Tatsächlich wäre die Einführung des § 94a ZVG bei genauer Betrachtung gar nicht erforderlich gewesen.

Die Problematik des ungesicherten Nutzen-Lastenwechsels sowie der städtebaulichen Missstände durch Schrottimmobilien werden bereits hinreichend durch vorhandene Mechanismen im ZVG bzw. im öffentlichen Recht begegnet.

Dem Missbrauchspotential des ungesicherten Nutzen-Lastenwechsels wird durch die Sicherungsverwaltung des § 94 ZVG in genügendem Umfang und im Einklang mit dem Beteiligtengrundsatz i.S.d. § 9 ZVG Rechnung getragen. Auf Antrag eines Gläubigers, der eine Befriedigung aus dem Bargebot zu erwarten hat, wird der Ersteher bis zur Leistung seines Gebotes von der Verwaltung des Grundstücks ausgeschlossen. Die Sicherungsverwaltung des § 94 ZVG dient dem Interesse der Vollstreckungsgläubiger an der Sicherung der Verwertbarkeit des Grundstücks in einer etwaigen Wiederversteigerung.

Die bestehenden gesetzlichen Instrumente im Bundesrecht (insb. BauGB) sowie insbesondere im jeweiligen Landesrecht (insb. LBauO, Wohnungsaufsichtsgesetze) ermöglichen den Gemeinden ein konsequentes Vorgehen gegen städtebauliche Missstände durch Schrottimmobilien. Sämtliche Befugnisse stehen ihnen gänzlich unabhängig von einer Versteigerung einer Schrottimmobilie zu. Diese Befugnisse müssen die Gemeinden nur nutzen.

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Jakob Hans Hien Rechtsanwalt hien@knauthe.com
  • Öffentliches Baurecht, Behörden und Verwaltung
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