Angesichts der zunehmenden Wohnraumknappheit in urbanen Regionen gewinnt die Umnutzung von Gewerbeflächen in Wohnraum erheblich an Bedeutung. Leerstehende Bürogebäude oder andere gewerbliche Immobilien bieten ein enormes Potenzial, um dringend benötigten Wohnraum zu schaffen. Doch in der Praxis scheitern solche Umnutzungen oft an den bestehenden baurechtlichen Vorschriften.
Ein großer Teil der Hürden liegt in den strengen Vorgaben des Bauplanungs- und Bauordnungsrechts. Für das Bauplanungsrecht ist der Bund zuständig. Für das Bauordnungsrecht die Bundesländer. Der Kollege Hien berichtete in seinem Knauthe Aktuell vom 16.09.2024 schon von der geplanten „kleinen Revolution“ im Bauplanungsrecht in der vom Bund geplanten BauGB‑Novelle. Doch auch in Berlin zeichnet sich ein Umdenken ab: Berlin plant eine sog. „Wohnraumoffensive“ (Schneller-Bauen-Gesetz), mit der diverse Erleichterungen für den Wohnungsbau eingeführt werden sollen. Unter anderem soll die Umnutzung bestehender Gebäude von Gewerbeflächen zu Wohnraum erleichtert werden.
1. Problemaufriss: Bestandsschutz und seine Grenzen
Ein zentrales Problem bei der Umnutzung von Gewerbeflächen zu Wohnraum in gemischt genutzten Gebieten ist der Verlust des sogenannten Bestandsschutzes. Bestandsgebäude, die nach den damals geltenden Vorschriften rechtmäßig errichtet wurden, genießen grundsätzlich Bestandsschutz. Das bedeutet, dass die Gebäude oder deren Nutzung auch dann weiterhin zulässig bleiben, wenn sich die baurechtlichen Vorschriften nach der Errichtung ändern. Dieser Schutz erlischt jedoch, sobald eine wesentliche bauliche Veränderung oder eine Änderung der Nutzung – wie etwa die Umnutzung von Gewerbe zu Wohnraum – erfolgt. In diesem Fall muss das Gebäude den aktuellen baurechtlichen Anforderungen entsprechen.
Dieser Verlust des Bestandsschutzes führt zu Problemen: Die heutigen baurechtlichen Vorgaben sind oft kaum mit den baulichen Gegebenheiten älterer Gewerbeimmobilien vereinbar. Die Gebäude wurden nach den technischen und baulichen Standards ihrer Entstehungszeit geplant und gebaut, die sich von den heutigen Vorschriften teils erheblich unterscheiden können. Eine Anpassung an aktuelle Anforderungen kann daher teuer oder in manchen Fällen schwer oder gar nicht realisierbar sein. Und so wird von dem Projekt „Umnutzung von Gewerbeimmobilien zu Wohnraum“ schnell Abstand genommen.
2. Der neue § 48 Abs. 5 BauO Berlin: Eine pragmatische Lösung
Um dieser Problematik zu begegnen, plant der Berliner Senat im Rahmen des Schneller‑Bauen-Gesetzes auch eine gezielte Änderung der Bauordnung zur Erleichterung der Umnutzungen von Gewerbe- in Wohnraum. Konkret soll der § 48 BauO Berlin, der spezielle Anforderungen an Wohnungen regelt, um einen neuen Absatz ergänzt werden. Dieser neue § 48 Abs. 5 BauO Berlin sieht vor, dass bestimmte bauliche Anforderungen bei der Umnutzung von rechtmäßig bestehenden Gewerbegebäuden zu Wohnraum nicht mehr angewendet werden. So sollen Vorschriften zu Abstandsflächen (§ 6), tragenden Wänden (§ 27), Außenwänden (§ 28) sowie zu Brandwänden, Decken und Dächern (§§ 30-32) bei Umnutzungen von Nutzungseinheiten mit Aufenthaltsräumen in rechtmäßig bestehenden Gebäuden nicht zur Anwendung kommen. Das bedeutet, dass sich Bauherr und Verwaltung nicht mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob der nach geltendem Recht erforderliche Abstand zum Nachbargebäude oder zur Grundstücksgrenze eingehalten ist (§ 6 BauO Berlin) oder ob die Beschaffenheit und Dämmung der Außenwand des Bestandsgebäudes noch den Anforderungen des § 28 BauO Berlin entspricht. Der Bestandsschutz wird bei der Umnutzung also mit Blick auf diese wichtigen Fragen nicht aufgehoben.
Der Berliner Senat argumentiert in der Begründung des Gesetzesentwurfes, dass eine Wohnnutzung das Gefahrenpotenzial eines Gebäudes nicht erhöhe. Und das stimmt: Schließlich galten bereits bei der ursprünglichen Errichtung des Gebäudes mit Aufenthaltsräumen – unabhängig davon, ob das Gebäude gewerblich oder zu Wohnzwecken genutzt wurde – bestimmte Anforderungen an Abstände, Wände, Decken und Dächer. Eine nachträgliche Anpassung an die aktuellen Vorschriften ist nicht unbedingt erforderlich. Diese geplante Neuregelung würde den Genehmigungsprozess erheblich vereinfachen und Umnutzungsprojekte deutlich beschleunigen.
3. Weitere Erleichterungen
Natürlich gelten die sonstigen Erleichterungen für den Wohnungsbau, die das Schneller-Bauen-Gesetz einführen wird, auch für Wohnungen, die durch Umnutzung geschaffen werden. An dieser Stelle sei exemplarisch noch die geplante Änderung des Mindeststandards für lichte Raumhöhe von Aufenthaltsräume erwähnt. Diese soll in Berlin von bisher 2,50 m auf 2,40 m abgesenkt werden (§ 47 BauO Berlin). Diese Anpassung dient der Angleichung an die Musterbauordnung sowie an die Regelungen anderer Landesbauordnungen. Durch die Harmonisierung soll vor allem die Erteilung von Typengenehmigungen erleichtert werden, die für standardisierte Bauvorhaben relevant sind. Die Änderung wird jedoch natürlich auch Umnutzungen erleichtern, wenn die bestehende Raumhöhe nur 2,40 m beträgt.
Fazit
Die geplante Ergänzung des § 48 BauO Berlin stellt einen pragmatischen Vorschlag dar, um Umnutzungen zu erleichtern, ohne dabei die bauliche Sicherheit oder die Lebensqualität zu beeinträchtigen. Diese Maßnahmen sind wichtige Hebel, um das brachliegende Potenzial leerstehender Gewerbeimmobilien auszuschöpfen und dringend benötigten Wohnraum zu schaffen – eine win-win-Situation für die Stadt und ihre Bewohner. Denn jeder braucht ein Dach über dem Kopf – auch, wenn es früher mal eine Pizzeria war.