Eine Berufung auf die Mindestsätze der HOAI ist wieder möglich!

Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass deutsche Gerichte die Mindestsatzregelungen der HOAI weiterhin anwenden können, obwohl diese gegen die EU-Dienstleistungsrichtlinie verstoßen (EuGH, Urteil vom 18.01.2022, Rs C‑261/20).

Sachverhalt

Die Verordnung über Honorare für Architekten- und Ingenieurleistungen (HOAI) enthielt bis zu ihrer Neufassung von 2021 einen verbindlichen Preisrahmen aus Mindest- und Höchstsätzen. Eine außerhalb dieses Rahmens liegende Vergütung war nichtig und wurde durch den im Einzelfall objektiv zutreffenden Mindestsatz (bei Unterschreitung) oder Höchstsatz (bei Überschreitung) der HOAI ersetzt. Mit Urteil vom 14.07.2019 hat der EuGH festgestellt, dass diese Regelungen der HOAI gegen die EU‑Dienstleistungsrichtlinie verstoßen. Deshalb wurde mit der HOAI 2021 das verbindliche Preisrecht für alle ab dem 01.01.2021 geschlossenen Verträge abgeschafft. In Literatur und Rechtsprechung höchst umstritten war die Frage, ob das bis dahin in der HOAI verankerte, zwingende Preisrecht nach dem EuGH-Urteil vom 14.07.2019 weiter angewendet werden kann, mithin eine Berufung des Architekten/Ingenieurs auf Mindestsätze weiterhin möglich ist.

Entscheidung

Der EuGH hat nunmehr mit seinem Urteil vom 18.01.2022 unmissverständlich klargestellt, dass Adressat der EU‑Dienstleistungsrichtlinie die Bundesrepublik Deutschland sei, welche das nationale Recht entsprechend anzupassen habe. Dem Einzelnen könne aber die EU‑Dienstleistungsrichtlinie keine Verpflichtungen auferlegen. Gleiches gelte für das Urteil des EuGH’s vom 14.07.2019. Insofern sind die deutschen Gerichte nicht verpflichtet, das Preisrecht der HOAI unangewendet zu lassen, selbst wenn dies unter Verstoß gegen die EU-Dienstleistungsrichtlinie Mindesthonorare für die Leistungen von Architekten/Ingenieuren festsetzt. Mit anderen Worten: Deutsche Gerichte dürfen für „Altfälle“, d.h. Verträge, die vor dem 01.01.2021 abgeschlossen wurden, die HOAI‑Mindestsatz-Regelungen weiter anwenden!

Praxishinweis

Es ist davon auszugehen, dass der Bundesgerichtshof in einem wegen der ausstehenden Entscheidung des EuGH’s ruhendgestellten Fall dem klagenden Architekt/Ingenieur antragsgemäß ein Honorar nach HOAI‑Mindestsatz zusprechen wird. Insofern ist in Zukunft wieder eine Berufung des Architekten/Ingenieurs auf Mindestsatzunterschreitung möglich. Dies gilt nicht nur im Verhältnis zwischen zwei „privaten“ Vertragspartnern, sondern auch bei Verträgen mit öffentlichen Auftraggebern. Für eine Mindestsatzunterschreitung gelten die von Literatur und Rechtsprechung in der Vergangenheit herausgearbeiteten Voraussetzungen.

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Dr. Andreas Ott Rechtsanwalt ott@knauthe.com
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